Aus- einander- setzung mit Gewalt
Die hier vorgestellte Untersuchung ‘Aus- einander- setzung mit Gewalt’ führt auf der Basis des Orgonomischen Funktionalismus eine neue Perspektive in die Gewaltdebatte ein.
Die gewalttätigen Jugendlichen und der gewaltthematisierende Mainstream werden in den spezifischen Aspekten und in der Interaktion charakterisiert.
Neben den Unterschieden wird aber auch die Identität beider Seiten herausgearbeitet.
Erst aufgrund dieser umfassenden Perspektive können Schritte aus der periodisch auftretenden Gewaltproblematik entwickelt werden.
Gewalttätige Ausgegrenzte
Auf der Basis autobiografische narrativer Interviews kann die Perspektive gewaltkrimineller Jugendlicher ausführlich analysiert werden.
Es werden vier 'Typen der Ausgrenzungsbearbeitung' und entsprechende Beispielbiografien präsentiert.
Ausgehend von diesen komplexen Daten wird der Weg zur zugrundeliegeden Funktion 'Ausgegrenzte Bewegung' beschrieben.
Gewaltthematisierender Mainstream
Die den Tätern gegenüberstehende Perspektive wird anhand populärer Erklärungsansätze und als selbstverständlich mittradierte Modelle thematisiert.
Insbesondere wird so der Desintegrationsansatz (Heitmeyer), die Kontrolltheorie (Hirschi), das Gewaltmonopol (Hobbes) und der Zivilisiationsprozess (Elias) analysiert.
Alle Modelle werden in ihren Eigenständigkeiten und Gegensätzen dargestellt. Darüber hinaus werden sie auf eine allen zugrunde ligende Funktion der 'Autotranszendenz' zurückgeführt.
Die Bremsung
Auf dieser Seite geht es um die Funktion, die sowohl der Perspektive der Gewalttäter als auch die des gewaltthematisierenden Mainstream zugrunde liegt.
In dieser Funktion sind sie identisch.
Diese Funktion wird insbesondere mit Hilfe verschiedener Animationen dargestellt.
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Aus-einander-setzung mit Gewalt: Gewaltthematisierender Mainstream |
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Aufgabe dieses Abschnittes ist es die Perspektive des Mainstreams in Bezug auf die Jugendgewalt zu charakterisieren. Ich greife dabei auf zwei populäre Erklärungsmodelle und zwei selbstverständliche Grundlagenmodelle zurück. Anschließend werden diese Modelle auf die zugrunde liegende Funktion der 'Autotranszendenz' zurückgeführt. |
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Orientierung stiftende Modelle | |
So akut und überrumpelnd die Jugendgewalt jedes Mal wieder wahrgenommen wird, so alt und vorhersehbar ist das Thema. Allein im letzten Jahrhundert gab eine enge Abfolge von Phasen, in denen die gewalttätige Jugend unter verschiedenen Etiketten (z.B. die 'Verwahrlosten‘, die 'Halbstarken‘, die 'Rowdies‘, die 'Verwilderten‘, die 'Wilden Cliquen‘, 'Herumtreiber‘, 'Randalierer‘, 'Krawallmacher) wahrgenommen wurde. Die Wahrnehmung geht jeweils mit einer intensiven Beschäftigung in den Medien und wissenschaftlichen Publikationen einher. Immer stärker tritt dabei die Wissenschaft als ordnende Instanz in den Vordergrund. Sie liefert die Modelle mit deren Hilfe die Verunsicherung bearbeitet werden kann und die Stabilität wieder erreicht wird. Dies bedeutet nicht, dass die Gewalt zurückgeht, sondern dass sie nicht mehr als verunsicherndes Problem wahrgenommen und thematisiert wird. |
„Die unüberbietbare Frechheit der Jugend unseres Jahrhunderts ist ein sicheres Zeichen für das Herannahen des Jüngsten Gerichtes“ (Melanchthon um 1560) |
In meiner Argumentation sind die Modelle wichtig, die in den 90er Jahren zur Orientierung und somit zur Stabilisierung herangezogen werden.
Die vier Modelle, die ich nach diesen Merkmalen ausgesucht habe, werden in der Untersuchung ausführlich dargestellt und kritisch diskutiert. |
Im Aufsatz 'Der Kampf um den Limes der Gesellschaft' gehe ich etwas ausführlicher auf die Modelle ein. |
Populäre Erklärungsansätze | |
Der insbesondere am Thema der rechtsextremistischen Gewalt entwickelte Desintegrationsansatz von Wilhelm Heitmeyer gelang in der ersten Hälfte der 90er Jahre zu einer sehr hohen Popularität sowohl in den Medien als auch im wissenschaftlichen Bereich [1]. Bis heute werden darüber hinaus eine Fülle von Maßnahmen gegen Gewalt auf der Basis dieses Ansatzes entwickelt. |
[1] vgl. Weingart (1998), Peter / Pansegrau, Petra / Winterhager, Matthias (Hg.): Die Bedeutung von Medien für die Reputation von Wissenschaftlern. (5.7.2001) |
Desintegrationsansatz Der Desintegrationsansatz hat in den 90er Jahren viele Wandlungen durchlebt. Da die verschiedenen Versionen und Schwerpunkte von dem(n) Autor(ren) aber nie sauber getrennt wurden entstehen viele Ungereimtheiten und Ungenauigkeiten in der Argumentation. Ich sehe hier davon ab und skizziere den Ansatz so als ob er in sich schlüssig wäre. In Anlehnung an die Modernisierungsdebatte geht Heitmeyer von einer desintegrierenden Gesellschaft aus. Umfassende Institutionen und Normgebäude verlieren demzufolge immer mehr an Bedeutung und die Individuen sind immer stärker auf sich selbst verwiesen. |
[3] Heitmeyer (1992): Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen. S.67 |
Kontrolltheorie Die Kontrolltheorie wurde demgegenüber von dem Amerikaner Travis Hirschi schon Ende der 60er Jahre entwickelt. Er geht von einer traditionalen vom Konsens getragenen Gesellschaft aus. Attachment: Primär geht es hier um die emotionale Bindung an die Eltern. Wie wichtig ist es einer Person, den Erwartungen und Wünschen anderer Menschen zu entsprechen bzw. diese nicht zu enttäuschen? Eine schlecht ausgebildete Anbindung lässt viel Freiraum für Abweichung. Je schwächer diese devianzverhindernden Faktoren ausgeprägt sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Person entsprechend der ursprünglichen devianten Struktur verhält. Seit Beginn der 90er Jahre gibt es eine Modifikation dieser Grundgedanken durch Hirschi und Gottfredson.
Aufgabe der Eltern ist es, die Kinder nach devianten Verhalten zu beobachten und entsprechend mit Sanktionen zu konfrontieren. So kann bis ungefähr zum 8. Lebensjahr die 'Selbstkontrolle' als Barriere zum devianten Verhalten im Kind aufgebaut werden. |
[4] Hirschi (1969): Causes of delinquency. S.10 |
Selbstverständliche Modelle | |
Der moderne Staat: Geboren aus der Angst Körperliche Gewalt wird heute prinzipiell auf dem Hintergrund eines Normbruchs diskutiert. Ein Gewalttäter bricht eine der grundsätzlichen Regeln dieses Staates: die Beachtung des Gewaltmonopols. Diese Betrachtung von Gewalt ist nicht selbstverständlich und trotzdem wird sie auch in den dargestellten Erklärungsansätzen unhinterfragt einbezogen. Während Heitmeyer das Gewaltmonopol ohne Erklärung aufnimmt, leitet Hirschi seine Perspektive von den 'Klassikern’ ab. Ich greife in meiner Darstellung aus dieser Gruppe auf Thomas Hobbes zurück. |
Als Thomas Hobbes 1588 geboren wurde näherte sich gerade die spanische Armada England. Hobbes verarbeitet dies in der autobiografischen Aussage: Meine Mutter „did bring forth Twins at once, both Me, and Fear.“ Hobbes zitiert nach Reemtsma (1996): Das Implantat der Angst. S.29; ergänzend dazu Münkler (1993): Thomas Hobbes. S.34/35: „Der Philosoph, der die Furcht vor dem Tode zum Grundmotiv seiner Philosophie gemacht hat, hat sein eigenes Leben weitgehend in Übereinstimmung mit diesem von ihm herausgestellten Grundantrieb geführt.“ |
Der Naturzustand Für Hobbes sind in den wesentlichen Aspekten die Menschen gleich ausgestattet (Körperkraft und Geistesfähigkeit). Die kleinen vorhandenen Unterschiede sind nicht so groß, als dass sie nicht zum Beispiel durch List ausgeglichen werden könnten.
Folglich können sich auch alle Hoffnung auf die Befriedigung der eigenen Wünsche machen. Diese Gleichheit führt aber unweigerlich zum blutigen Konflikt: Wenn aber nun zwei das gleiche wollen wird „einer des andern Feind, und um das gesetzte Ziel, welches mit der Selbsterhaltung immer verbunden ist, zu erreichen, werden beide danach trachten, sich den andern entweder unterwürfig zu machen oder ihn zu töten.“ [10] |
[9] Hobbes (1996): Leviathan. S.5 |
Der Gesellschaftsvertrag Gerade in der zugespitzten, scheinbar aussichtslosen, Situation des Naturzustandes liegt auch eine Chance. Die Furcht im allgemeinen und die vor dem gewaltsamen Tod insbesondere, das Verlangen nach den zu einem glücklichen Leben notwendigen Dingen und die Hoffnung, sich diese tatsächlich verschaffen zu können, führen dazu, dass mit Hilfe der Vernunft Grundsätze festgelegt werden, die diese Situation überwinden können.[14] |
[14] Vgl. Hobbes (1996): Leviathan. S.118 [15] Hobbes (1996): Leviathan. S.119 [16] Münkler (1993): Thomas Hobbes. S.122. Münkler grenzt hier die Vertragsvorstellung von Hobbes von denen der Antike (z.B. Cicero) ab. „Der Vertrag unterstützt und reguliert danach bloß, was in der menschlichen Natur als Neigung ohnehin angelegt ist.“ |
Der Gesellschaftszustand Was heute meist übersehen, aber von Hobbes betont wird ist, dass diese neue Ordnung die Furcht vor Gewalt nicht aufhebt, sondern auf sie weiterhin angewiesen ist: "Gesetze und Verträge können an und für sich den Zustand des Krieges aller gegen alle nicht aufheben, denn sie bestehen in Worten, und bloße Worte können keine Furcht erregen, daher fördern sie die Sicherheit der Menschen allein und ohne Hilfe der Waffen nicht.“ [17] Die Angst muss weiterhin fest installiert bleiben. Sie muss, wie Münkler es nennt, „künstlich perpetuiert“[18] werden und wird als „Implantat der Angst“ vor dem „Rückfall in die Barbarei“ zentrales Merkmal der modernen Staatstheorie.[19] Dementsprechend kommt es zur Aufspaltung in Souverän und Untertann. Im Souverän laufen alle Rechte zusammen, insbesondere das Recht auf Gewalt. Seine Aufgabe besteht darin, den Staat aufrechtzuerhalten. Hobbes ging es nicht um die Ausschaltung der Gewalt und der Todesfurcht, sondern um die Ausschaltung der Todesfurcht im Krieg aller gegen alle. Die Ungewissheit dieser Angst wollte er in eine Gewissheit überführen. Sowohl die Angst als auch die Gewalt sind weiterhin zwingend notwendig: der Staat ist nur so lange stabil wie diese Furcht fortbesteht. Lässt die Furcht nach, würden die Bürger ihre Rechte wieder übernehmen und der Naturzustand wäre wieder hergestellt. Die Furcht vor dem Souverän muss demzufolge glaubwürdig sein, sein Gewaltmonopol ist kein Symbol, sondern muss sich immer wieder konkret bestätigen. [20] Das bestimmende Merkmal des Naturzustandes ist demzufolge nicht die Angst und die Gewalt, sondern die ungeregelte Angst und Gewalt. Das bestimmende Gegensatzpaar zwischen Naturzustand und modernen Staat ist demzufolge Chaos und Ordnung. Bauman folgert: „Wir können sagen, dass die Existenz modern ist, sofern sie sich in Ordnung und Chaos spaltet. Die Existenz ist modern, insoweit sie die Alternative von Ordnung und Chaos enthält.“ „Wir können sagen, dass die Existenz modern ist, sofern sie von dem Gefühl 'ohne uns die Sintflut’ durchdrungen ist. Die Existenz ist modern, insofern sie von dem Drang geleitet wird, zu entwerfen, was andernfalls nicht da wäre: von dem Drang, sich selbst zu entwerfen.“ [21] Gewalt Gewalt ist in einem modernen Staat (zumindest in der konkreten Androhung) allgegenwärtig. Wenn der Souverän in seiner Aufgabe versagt kann es darüber hinaus zum erneuten Durchbruch des Naturzustandes kommen. Das heißt: Die Untertanen knüpfen wieder an ihr Naturrecht an und setzen Gewalt ein. |
[17] Hobbes (1996): Leviathan. S.151 [18] Münkler (1993): Thomas Hobbes. S.123 [19] Reemtsma (1996): Das Implantat der Angst. S.32 [20] Narr spricht über den 'Staat’ von einer 'konzentrierten Gewaltorganisation’ und warnt davor den Sinn des Gewaltmonopols in Frage zu stellen: „Wer hier mit der Säure des Zweifels anhebt, mag rasch die Substanz angreifen. Also ist es angezeigt, eine Art übertragener Sicherheitsbannmeile rund um die Sicherheitsapparaturen des Staates selbst zu fixieren, eine Tabuzone strikt einzuhalten. So wird der quasi religiöse Charakter verständlich, den die 'Frage nach dem Gewaltmonopol des Staates’ in der Bundesrepublik angenommen hat.“ (58/59) Narr (1990): Staatsgewalt und friedsame Gesellschaft. [21] Bauman (1996a): Moderne und Ambivalenz. S.19/20 |
Die Zivilisation: Stabilisierung der Angst Hobbes spielt mit offenen Karten. Nur da wo eine ständige Furcht vor der Gewalt des Souveräns besteht kann der chaotische Naturzustand verhindert werden. Auch wenn heute noch das Gewaltmonopol eine zentrale Rolle spielt, so ist klar, dass seit Hobbes etwas sehr wichtiges hinzugekommen ist: die Zivilisierung des Menschen. Norbert Elias geht davon aus, dass ab einen bestimmten Zeitpunkt die Beziehungen der Menschen immer komplexer werden. Dadurch ist der Einzelne gezwungen, sein Verhalten immer mehr auf Differenziertheit, Gleichmäßigkeit und Stabilität abzustimmen. Er muss „den eigenen Leidenschaftsausbruch, die Wallung, die ihn zum körperlichen Angriff [...] treibt, zurückzudrängen.“ Vor allem aufgrund der sich entwickelnden stabilen gesellschaftlichen Institutionen „stellt sich jene gesellschaftliche Prägeapparatur her, die den Einzelnen von klein auf an ein beständiges und genau geregeltes An-sich-Halten gewöhnt." So bildet sich die "automatisch arbeitende Selbstkontrollapparatur.“[22] Selbstzwang Während Hobbes noch mit dem äußeren Zwang argumentiert, wird dieser durch die Installation der Selbstkontrolle weitgehend überflüssig. Aus dem Fremdzwang wurde ein Selbstzwang. Auch Elias spricht von einer Pazifisierung, aber auch er meint nicht eine Aufhebung von Gewalt und Angst, sondern nur eine Verlagerung: "der Kriegsschauplatz wird zugleich in gewissem Sinne nach innen verlegt.“ Da die Leidenschaften zwischen den Menschen nicht mehr einfach ausgelebt werden können „kämpfen [sie] nun oft genug nicht weniger heftig in dem Einzelnen gegen diesen überwachenden Teil seines Selbst.“ [24] So wie sich Hobbes durch den geordneten Angstzustand Sicherheit verspricht, so geht Elias davon aus, dass durch die Internalisierung der Kontrollinstanz Stabilität im Handeln entsteht. |
[22] Elias (1976): Über den Prozess der Zivilisation II. S.320/321 [23] Elias (1976): Über den Prozess der Zivilisation II. S.327/328 [24] Elias (1976): Über den Prozess der Zivilisation II. S.330/331 |
Individuelle Zivilisierung Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Modell von Hobbes und Elias. Hobbes geht davon aus, dass mit dem Gesellschaftsvertrag der künstliche Zustand erreicht ist und nur noch aufrechterhalten werden muss. Die Zivilisierung muss demgegenüber bei jedem Kind von neuem beginnen. Die zivilisierte Gesellschaft wird mit jedem neu geborenen Kind wieder mit dem unzivilisierten Menschen konfrontiert. Daraus folgt das Verständnis von Sozialisation: „Der Einzelne wird bereits von der frühesten Jugend an auf jene beständige Zurückhaltung und Langsicht abgestimmt, die er für die Erwachsenenfunktionen braucht; diese Zurückhaltung, diese Regelung seines Verhaltens und seines Triebhaushaltes wird ihm von klein auf so zur Gewohnheit gemacht, dass sich in ihm, gleichsam als eine Relaisstation der gesellschaftlichen Standarde, eine automatische Selbstüberwachung der Triebe im Sinne der jeweiligen gesellschaftlichen Schemata und Modelle [...] herausbildet.“[25] |
[25] Elias (1976): Über den Prozess der Zivilisation II. S.329 [26] Elias (1976): Über den Prozess der Zivilisation II. S.334 |
Gewalt Bei Hobbes resultiert die Gewalt der Untertanen aus dem Versagen des äußeren Zwanges. Nach Elias wird dieser Zwang im Laufe der Zivilisation verinnerlicht. Der die Sicherheit konstituierende Widerspruch zwischen Souverän und Untertan setzt sich demzufolge in jedem Individuum fort. Analog zu Hobbes kommt es zu gewalttätigem Verhalten aufgrund des Versagens des Selbstzwanges. |
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Die Autotranszendenz | |||||
Im Leviathan geht es um nichts Geringeres als darum den „natürlichen Menschen“ in einen „künstlichen Menschen“ umzuformen, um ihn so „glücklich“ zu machen. Die Menschen im Naturzustand sind durch ihre prinzipielle Gleichheit an Ressourcen aber auch an „Hoffnungen“ der „Befriedigung der Wünsche“ geprägt. Dies führe zu einer großen insbesondere gewalttätigen Dynamik unter den Menschen.
Auf Hobbes aufbauend beschreibt Elias den Weg vom Fremdzwang zum Selbstzwang. Die Affektnähe, also die Einheit von Antrieb und Ordnung fallen auseinander. Es etabliert sich eine Instanz, die explizit gegen die eigenen Affekte gerichtet ist. Nicht die Bedürfnisse und Möglichkeiten eines Menschen kennzeichnen ein Individuum, sondern der Widerspruch zwischen der ordnenden Instanz und eben diesen Bedürfnissen. |
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Kern beider Grundlagenmodelle ist die bemerkenswerte Vorstellung, menschliches Leben könnte durch den Menschen auf eine höhere Ebene transzendiert werden, indem er gegen die eigene Natur bzw. den eigenen Ausdruck eine regulierende Gegenkraft installiert.
In dieser Vorstellung von Autotranszendenz gibt es zwei Gegensatzanordnungen: zum einen die zwischen dem transzendierten und dem nicht transzendierten Bereich, zum anderen die zwischen dem Ausdruck und der Regulierung desselben.
Im ursprünglichen Bereich haben alle Menschen alle Rechte und können ihre Affekte in Handlungen umsetzen. Leidenschaften, Affekte, Rechte und Handlungen bauen hier aufeinander auf und formen einen einheitlichen Ausdruck. Es stehen sich zwei Ordnungsprinzipien gegenüber: der durch den Menschen 'geordnete' Zustand und die sich aus den Dingen selbst ergebende Ordnung. Diese nicht durch den Menschen geordnete Ordnung erscheint häufig gar nicht als Ordnung, sondern eben als Chaos.
Mit der Überwindung erhebt sich der Mensch aus der natürlichen Unordnung in den Zustand der menschlichen Ordnung: es ist ein Schritt der Menschwerdung und ein Schritt vom niederen zum höheren: es ist ein Fortschritt. Nur indem sich der Mensch selbst überwindet, kann er transzendieren. Aus eigener Kraft überwindet sich der affektnahe 'Wolf’, zähmt sich selber, schafft sich eine individuelle und soziale Struktur, die es so in der Natur nicht gibt und wird zum eigentlichen Menschen. Nur wenn ständig sehr viel Energie in diesen neuen Zustand investiert wird, kann verhindert werden, dass der Mensch wieder zur Bestie, zum Wolf, zum naturnahen Barbaren wird.
Diese Energie fließt direkt in den sich selbst geschaffenen Konflikt zwischen Ausdruck und Hemmung des Ausdrucks. In dieser Grenzarbeit wird die Energie fixiert und der Ausdruck verändert so seinen Charakter in einen menschlich geordneten Ausdruck.
Bei Hobbes variiert dies in der Vorstellung, es habe eine Gesellschaft gegeben, in der die Menschen sowohl die zum Ausdruck strebenden Leidenschaften, als auch die ihnen die Befriedigung ermöglichenden Ressourcen (z.B. Gewalt) zu Eigen wären (A). Diese Menschen überwinden diesen Zustand, indem sie auf sozialer Ebene die Ressourcen abspalten und in Form des omnipotenten Souveräns (B) gegen die leidenschaftlichen Untertanen (C) richten. Indem sich die Kräfte gegenseitig blockieren entsteht demzufolge Sicherheit (D), die z.B. langfristige wirtschaftliche Planung ermöglicht. Auch Elias’ Zivilisationsbegriff lässt sich auf die Autotranszendenz zurückführen. In dem angenommenen affektnahen Zustand (A) können die Antriebe ungehindert zum Ausdruck kommen. In der Sozialisation wird die Regulierung aber in dem Sinne umstrukturiert, dass sie sich als Selbstbeherrschung (B) gegen die Affekte (C) stellt. Sichtbar wird dies in der für die Zivilisation typischen Handlungsstabilität (D). Auch die beiden populären Erklärungsansätze der Gewalt können hier eingeordnet werden. Etwas schwieriger ist es den Desintegrationsansatz auf die Autotranszendenz zurückzuführen. Bei Hobbes wendet sich der Souverän gegen den Untertan, bei Elias wurde der Affekt reguliert und bei Hirschi die direkte Bedürfnisbefriedigung. |
[27] Die Grenze zwischen Tier und Mensch gilt als „Kernbestand westlicher Anthropologie“. Diese Grenze ist von vielfältiger Bedeutung für die Gewaltproblematik. Zum einen werden eben die Täter häufig jenseits dieser Grenze verortet. Wichtig ist diese Grenze aber auch, wenn Tiere diese Grenze missachten und Menschen töten (vgl. Berichterstattung über Kampfhunde). Um den Skandal der Gewalt zu betonen, werden aber nicht nur die Täter, sondern auch die Opfer in die Nähe der Tiere gebracht: jemand wird 'wie ein Tier geschlachtet’. Aber auch umgekehrt wird z.B. in dem Begriff 'Hühner-KZ’ die Grenze bewusst überschritten, um Gewalt gegen Tiere zu skandalisieren. Vgl. Fischer (2001): Mensch-Tier-Vergleiche und die Skandalisierung von Gewalt. |
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Gewalt – Kennzeichen des unüberwundenen naturnahen Bereichs | |||||
Auffällig ist bei beiden Erklärungsansätzen der Gewalt, dass sie nur sehr wenig über Gewalt berichten. Weder erforschen sie die Sinnstruktur gewalttätiger Handlungen noch bieten sie eine Phänomenologie der Gewalt.
Einig sind sich aber beide Autoren, dass das Defizit der Täter darin besteht, dass sie dem Zustand vor der Selbstüberwindung verhaftet bleiben. Die Täter erscheinen als Negation der Ordnung, mit der sich die Protagonisten der Modelle identifizieren: Das Defizitäre der Menschen jenseits der Selbstüberwindung wird weniger durch eine Fehlentwicklung in eine falsche Richtung als vielmehr durch das Fehlen einer notwendigen Entwicklung bestimmt. Hier sind quasi die Menschen noch im Rohzustand oder zumindest in der Nähe davon.
Das Auftreten körperlicher Gewalt wird als Zeichen der Destabilisierung des den transzendierten Zustand konstituierenden Widerspruchs interpretiert.
Die Bearbeitung des so definierten Problems folgt auf beiden Ebenen derselben Logik: Im Konflikt zwischen Ausdruck und Ordnung muss die Ordnung gestärkt werden. Auf der sozialen Ebene müssen die Politiker stärker Position gegen die Gewalttäter beziehen, die Gerichte müssen schneller, eindeutiger und evtl. auch härter urteilen und die Polizei soll präsenter sein.
Da es im Wesentlichen genügt, die Täter jenseits der Grenze zu verorten, bleiben sie weitgehend im Schatten. Es ist kein Zufall, dass Heitmeyer zwischen der Sonnen- und der Schattenseite der Gesellschaft unterscheidet. Es geht nicht um eine Phänomenologie dieses Bereiches, sondern um die Überwindung dieser eigenen Schattenseiten. In diesem Sinne müssen sie fremd bleiben. |
[29] Wie in diesen Erklärungsansätzen wird auch in der medialen Beschäftigung ein seltsam wirkender Widerspruch deutlich:
Medien sind ganz offensichtlich an provozierenden und Aufmerksamkeit
erheischenden Präsentationen interessiert.
Trotzdem gab es in den 90er Jahren (und auch heute noch) keine kontroverse
Diskussion über Gewalt! Kann sich jemand an eine Talkshow oder Diskussionsrunde erinnern, in der z.B. ein gewalttätiger Skin seine Handlungen offensiv vertreten konnte? Es wird gestritten über die Position des Mainstreams zu Gewalttätern, die Gewalt selbst bleibt Tabu. |
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