Aus- einander- setzung mit Gewalt

Die hier vorgestellte Untersuchung ‘Aus- einander- setzung mit Gewalt’ führt auf der Basis des Orgonomischen Funktionalismus eine neue Perspektive in die Gewaltdebatte ein.

Die gewalttätigen Jugendlichen und der gewaltthematisierende Mainstream werden in den spezifischen Aspekten und in der Interaktion charakterisiert.
Neben den Unterschieden wird aber auch die Identität beider Seiten herausgearbeitet.

Erst aufgrund dieser umfassenden Perspektive können Schritte aus der periodisch auftretenden Gewaltproblematik entwickelt werden.

 

Gewalttätige Ausgegrenzte

Auf der Basis autobiografische narrativer Interviews kann die Perspektive gewaltkrimineller Jugendlicher ausführlich analysiert werden.

Es werden vier 'Typen der Ausgrenzungsbearbeitung' und entsprechende Beispielbiografien präsentiert.

Ausgehend von diesen komplexen Daten wird der Weg zur zugrundeliegeden Funktion 'Ausgegrenzte Bewegung' beschrieben.

Gewaltthematisierender Mainstream

Die den Tätern gegenüberstehende Perspektive wird anhand populärer Erklärungsansätze und als selbstverständlich mittradierte Modelle thematisiert.

Insbesondere wird so der Desintegrationsansatz (Heitmeyer), die Kontrolltheorie (Hirschi), das Gewaltmonopol (Hobbes) und der Zivilisiationsprozess (Elias) analysiert.

Alle Modelle werden in ihren Eigenständigkeiten und Gegensätzen dargestellt. Darüber hinaus werden sie auf eine allen zugrunde ligende Funktion der 'Autotranszendenz' zurückgeführt.

Die Bremsung

 

 

Auf dieser Seite geht es um die Funktion, die sowohl der Perspektive der Gewalttäter als auch die des gewaltthematisierenden Mainstream zugrunde liegt.

In dieser Funktion sind sie identisch.

Diese Funktion wird insbesondere mit Hilfe verschiedener Animationen dargestellt.

Aus- einander- setzung mit Gewalt:

Gewalttätige Ausgegrenzte

Anhand der Hallenser Biographistudie zur Jugendgewalt wird hier die Perspektive der jugendlichen Gewalttäter charakterisiert.

So werden neben der biographischen Darstellungen auch vier Typen der Ausgrenzungsbearbeitung herausgearbeitet.

Anschließend werden sie auf die allen zugrundeliegenden Funktion der 'Ausgegrenzten Bewegung' zurückgeführt.

Bezug zur orgonomischen Sozialforschung

Die Hallenser Biographiestudie zur Jugendgewalt wurde unter der Leitung von Prof. Dieter Rössner an der juristischen Fakultät der Uni Halle/ Saale durchgeführt. Sie versteht sich nicht als orgonomische Sozialforschung, sondern steht vielmehr in der Tradition der Chicagoer Schule und der verstehenden Soziologie.

Daraus ergeben sich wichtige Unterschiede. Es gibt aber auch eine wichtige Übereinstimmung: Die Erkenntnis leitet sich aus dem Kontakt zwischen Forschungssubjekt und Objekt ab.

Insbesondere im Narrativen Interview steht dieser Kontakt im Vordergrund. Nur wenn der Interviewer sich auf den Partner einlässt kann er Zugang zu dessen Welt und somit zu seinem Expertenwissen erlangen.
Erst in der analytischen Abstraktion wird die Distanz wieder wichtig.

 
Reich hat wesentliche Eckpunkte einer orgonomischen funktionalistischen Forschung beschrieben, aber die konkrete Umsetzung im sozialen Bereich ist ungenügend erarbeitet. Umso wichtiger ist es Erfahrungen aus der konventionellen Sozialforschung hier einfließen zu lassen.  
   
Die Hallenser Biographiestudie zur Jugendgewalt
Die „Hallenser Biographiestudie zur Jugendgewalt“ wurde von Anja Meyer und mir unter der Leitung von Prof. Dieter Rössner Mitte der 90er Jahre durchgeführt. Ziel der breit angelegten qualitativen Untersuchung war es, einen Zugang zur Sinnwelt jugendlicher Gewalttäter zu erarbeiten, um ihre Orientierung und die Bedeutung ihrer (gewalttätigen) Handlungen zu verstehen. Zu diesem Zweck wurden über 50 biographisch narrative Interviews geführt, transkribiert und analysiert. Auf dieser breiten Basis konnten wir vier Typen entwickeln, die weiter unten ausführlicher dargestellt werden.

Interviewte Personen

Die Untersuchungsgruppe besteht aus 25 gewaltkriminellen Jugendlichen, die in Sachsen-Anhalt in Resozialisierungsmaßnahmen eingebunden waren, in U-Haft oder im Regelvollzug einsaßen. Die wesentlichen Merkmale dieser Stichprobe (Gewaltbegriff, Alter, Ort) werden somit primär durch den rechtlichen Maßstab bestimmt. Es sind Jugendliche, die mindestens ein Opfer körperlich geschädigt bzw. getötet haben und für diese Tat sanktioniert wurden. Die justitiable Einordnung dieser Personen zeigt auch deutlich, dass sie schon am Ende der Degradierungsmöglichkeiten des Staates angelangt sind. Sie blicken alle auf eine lange Reihe von akkumulierten Ausgrenzungserfahrungen zurück. Vor allem aufgrund der Gerichtsverhandlung und der folgenden Inhaftierung nimmt bei jedem Einzelnen die Beschäftigung mit Ausgrenzungserfahrungen einen hohen Stellenwert in der biographischen Erzählung ein. Wir richteten dementsprechend schon bald den Fokus auf diese 'Bearbeitung der Ausgrenzungserfahrungen’ als eine gute Basis für die weiterführende Typisierung.

Neben der Untersuchungsgruppe wurden noch 25 weitere Personen zur Kontrastierung interviewt. Je nach Analysestand interessierten uns Personen, die unabhängig von Gewalttaten in starke Ausgrenzungsprozesse involviert waren oder aber legale Gewalt ausübten. Zur maximalen Kontrastierung zogen wir noch Jugendliche hinzu, die weder als gewalttätig galten noch starken Ausgrenzungsprozessen unterlagen. Die Kontrastgruppe umfasst u.a. obdachlose Jugendliche, Punks, Drogenabhängige, ehemalige Werkhofinsassen, aber auch Boxer, Polizeischüler, Bundeswehrsoldaten und einen Zivildienstleistenden.

Datenerhebung

In der Datenerhebung haben wir uns am biographisch narrativen Interview nach Fritz Schütze [1] orientiert. Im Gespräch steht der Proband eindeutig im Vordergrund. Er ist ein Experte seines Lebens und erzählt aus diesem Wissensfundus. Der Interviewer signalisiert primär durch die Rezeptionssignale, dass er interessiert zuhört. Ist das Narrationspotential ausgeschöpft, wird der Proband durch Nachfragen zu Argumentationen und Selbstinterpretationen angeregt. Alle Gespräche werden aufgenommen und genau transkribiert.

Diese Vorgehensweise gibt den Jugendlichen die Freiräume zur Selbstrepräsentation in ihrer Sprache und ihrer Dynamik, die für die spätere Analyse benötigt wird. Nur da, wo die Person tatsächlich etwas von der eigenen Welt preisgibt, besteht die Möglichkeit an sie heranzukommen.

Dies setzt eine gewisse vertrauensvolle Situation voraus, die unter den besonderen Bedingungen unserer Interviews nicht selbstverständlich war. So fanden die meisten Gespräche mit der Untersuchungsgruppe im Gefängnis statt. Die kargen Aufenthaltsräume oder die Zellen ließen keinen Zweifel daran, dass die von Misstrauen geprägte Situation in der totalen Institution immer präsent war.
Außerdem wurde schnell klar, dass wir es mit interviewerfahrenen und oft auch medienerprobten Jugendlichen zu tun hatten. Spätestens zur Gerichtsverhandlung wurden sie als auffällige Jugendliche zu ihrem Leben und zur Gewalt befragt. Sie antworteten mit Fakten, Daten und v.a. Argumenten und Erklärungen. Diese Befragungen konnten über ihr weiteres Leben entscheiden und entsprechend wohlüberlegt mussten sie antworten.

Es gab Probanden, die mit den Anforderungen eines narrativen Interviews überfordert waren, die, obwohl keine konkreten Fragen gestellt wurden, ihre Argumentationsstränge präsentierten. Die meisten lösten sich aber davon und ließen sich von ihrer eigenen Narration treiben.
Um dies zu unterstützen legten wir im Rahmen des Möglichen viel Wert auf die 'Aufwärmphase': Das gemeinsame Kaffeekochen, Zigarettenrauchen und die Vorstellung der eigenen Person und des Projektes konnten für das Gelingen des Interviews entscheidend sein.

Dabei nahm ein weiterer die Narration hemmender Punkt einen großen Stellenwert ein. Um den Masterstaus 'Gewalttäter’ nicht von vornherein zu bestätigen, hatten wir bewusst den Fokus der Gespräche nicht auf die Gewalttat gesetzt. Es war klar, dass sich die argumentativen Passagen ansonsten noch ausgeprägter zeigen würden.
Die Probanden gingen aber oft mit genau dieser Erwartung in das Gespräch. Diese 'erwartete Gewalterwartung’ musste vorsichtig entkräftet und hin zu einer Konzentration auf das eigene Leben gelenkt werden.

Die Interviews mit den Personen der Kontrastgruppe fanden meist unter einfacheren Bedingungen statt. Hier konnten wir den Kontakt selbst gestalten und den Ort mit den Personen aushandeln.

Auswertung

Die Auswertung erfolgt auf drei Ebenen, die eng miteinander zusammenhängen, sich aber nicht eindeutig voneinander ableiten: Forschungsprozess, Biographien und Typen.

Der Forschungsprozess ist nicht starr vorgegeben, sondern entwickelt sich in der Interaktion zwischen Forscher und Forschungsobjekt. Zu Beginn der Studie stand die grobe Fragestellung nach der Bedeutung von Gewalt bei Jugendlichen, die selbst Täter sind und die den Zusammenbruch der DDR noch miterlebt haben. Dies bestimmte unsere Stichprobe und den Fokus. Aber schon nach einigen Interviews wurde klar, dass wir die Bedeutung der Wende völlig überschätzt und die der Ausgrenzung unterschätzt hatten. Unser Fokus, die Fragestellung und die Stichprobe wurden dem angepasst. Gerade in dieser Flexibilität liegt auch ein Vorteil der qualitativen Herangehensweise. Die Dynamik kann beschrieben und analysiert werden.

Stärker im Vordergrund steht in unserer Studie aber die Analyse der Biographien. Alle transkribierten Interviews wurden in einem größeren Kreis aus Institutsangestellten und interessierten Personen besprochen. So konnten strukturelle und inhaltliche Unklarheiten geklärt und weiterführende Fragen thematisiert werden. Auf dieser Basis wurden einige Interviews für eine vertiefende Analyse ausgewählt und zu einer biographischen Gesamtdarstellung geführt. Hier werden die Perspektive des Erzählers, seine Bedeutungswelten, Orientierungs- und Handlungsmuster herausgearbeitet. Dabei wird besonderer Wert auf die individuellen Prozessstrukturen gelegt. Sie geben meist das Gerüst vor, das die Biographie in ihrer wesentlichen Dynamik charakterisiert.

Neben dieser den individuellen Eigenheiten gerecht werdenden Darstellung stehen die überindividuellen Typen. Ausgangspunkt der Typisierung ist die Hauptkategorie, die sich aus der Fokussierung, also dem eigenen Interesse und dem vorliegenden Datenmaterial, ableitet. Für die Probanden hat sich die Ausgrenzungserfahrung im Zuge der Inhaftierung extrem zugespitzt. Sie haben auf spektakuläre Weise mitbekommen, dass die die gesellschaftliche Normalität repräsentierenden Institutionen sie als Gewalttäter problematisieren und entsprechend sanktionieren. Von dem Kontakt mit der Polizei über die Gerichtsverhandlung bis hin zum Bezug der Zelle sehen sie sich in einer einfachen Konstellation verortet: ihnen steht die gesellschaftliche Normalität gegenüber, die sie als Gewalttäter außerhalb dieses Bereiches stellt.

Interessanterweise wird diese Verortung von den Probanden übernommen. Egal wie sie im Einzelnen die staatlichen Institutionen beurteilen, die Definitionshoheit dessen, was zur gesellschaftlichen Norm gehört und was nicht, wird von ihnen nicht in Frage gestellt. Die Probanden unterscheiden sich aber untereinander in der Art und Weise, wie sie diese Position des ausgegrenzten Gewalttäters interpretieren und in ihr Selbstbild integrieren.

Dies führt zur Hauptkategorie 'Ausgrenzungsbearbeitung’, die sowohl einen guten Zugang zu den Biographien, als auch zur jeweiligen Bedeutung der angewandten Gewalt bildet. Anhand der Kontrastierung mehrerer Merkmale kristallisieren sich die vier Typen heraus, die hier in wesentlichen Aspekten charakterisiert werden. Zur Veranschaulichung beziehe ich dabei auch einige Biographien beispielhaft mit ein.

[1] Schütze (1987), Fritz: Das narrative Interview in Interaktionsfeldstudien. Studienbrief für die Fernuniversität Hagen
   
Die vier Typen der Ausgrenzungsbearbeitung
   
Äußerer Konflikt

Das zentrale Merkmal des Typs 'Äußerer Konflikt' ist die Interpretation der erlebten Ausgrenzung als sozialen Konflikt. Sie sehen sich in einem sozialen Problem verwickelt, in dessen Kern sich die ausgegrenzte Person und die sich in der gesellschaftlichen Normalität verortenden Personen und Institutionen gegenüberstehen. Die harte Grenze zwischen diesen Welten wird ständig definiert, an neue Erfahrungen angeglichen und nach Außen verteidigt.

Jugendliche, die ihre Situation entsprechend diesem Typ interpretieren sind eindeutig und positiv verortet. Sie sind sich mit der Normalität in ihrem Anderssein einig, wehren sich aber vehement gegen die Degradierungen. In diesen Interviews findet sich häufig der Tonfall des zu Unrecht gedemütigten.
Sie sind stark gruppenorientiert und Selbst- und Gruppenbild fließen ineinander. Sie sehen sich in der Defensive und betreiben von hier aggressive Grenzarbeit. In diesem Sinn fallen sie durch provozierendes Auftreten auf.

Gewalt ist hier Ausdruck von Handlungsfähigkeit. Es gibt ein Problem und das wird mittels Gewalt gelöst.
Dies gilt zum einen gruppenintern. Die Gewalt ist hier selbstverständlicher Teil des Alltages.
Auch nach Außen in Bezug auf andere Gruppen oder als Feinde definierte Personen wird dieser instrumentelle Charakter der Gewalt betont. Sie sehen sich in einem sozialen Kampf und Gewalt ist das angemessene Mittel. Diese Interpretation wird oft mit sinnstützenden Modellen untermauert.

Einflussnahmen von Außen erscheinen hier als Angriffe auf die Identität. Ihnen soll etwas genommen werden, dass sie zu Recht von der Normalität unterscheidet. Die Normalität kann ihnen nicht das bieten, was die Gruppe für sie bedeutet und somit achten sie voller Misstrauen darauf, nicht von ihrer Position abgebracht zu werden.

Oskar

Der Jugendliche Oskar ist ein gutes Beispiel für diesen Typ. Neben dem verunsichernden Familienleben integriert er sich in eine rechte Skinszene. Im Zentrum steht hier das 'zusammen machen' und 'zusammen sein'. Nach einem gemeinsamen Überfall auf eine Punkfete, bei der ein Punk getötet wird, schafft Oskar den Schritt vom Mitläufer ins Zentrum der Gruppe. Im Interview präsentiert er sich als Pressesprecher der Szene.
Der Normalität wirft er Falschheit, Doppelbödigkeit und Handlungsunfähigkeit vor. Er sieht hier ein Auseinanderfallen von Interessen bzw. Ansprüchen und den Handlungen: Sie wollen die Ausländer nicht, tun aber nichts gegen sie; sie reden von Meinungsfreiheit, unterdrücken aber die rechte Meinung; usw. Aufgrund dieser Widersprüche sind sie nicht in der Lage Ordnung herzustellen. Das Perfide aus seiner Sich liegt nun darin, dass sie gerade gegen die vorgehen, die diese Widersprüche nicht haben und Ordnung herstellen könnten.

So sehr sich Oskar im Konflikt mit der Normalität sieht - er geht nicht mit Gewalt gegen sie vor. Er ist kein Rebell oder gar Terrorist. Er hat Angst vor dem Chaos und will die Ordnung stärken und nicht zerstören.
Seine kämpferische Gewalt richtet sich gegen die Gruppen und Personen, die er als gegen die Ordnung gerichtet einstuft. Da sind zum einen die 'anderen Jugendbanden', insbesondere die Autonomen, die Punks und die Linken. Wie die Skins sind sie an den Rand der Gesellschaft gedrückt, aber im Gegensatz zu ihnen verfolgen sie einen 'falschen Kult' und 'sind dumm'. Gegen sie muss er im Kampf unter Gleichen gewalttätig vorgehen.
Zum anderen sind da die Ausländer. Die sind nicht dumm, sondern kommen von Außen in die Gesellschaft und bringen mit Drogen und Kriminalität die Gesellschaft in Unordnung.
Die Ausländer zu vernichten heißt in seinen Augen, gegen die Falschheit und Handlungsunfähigkeit der Normalität anzugehen.

Innerer Konflikt

Normalität und Abweichung werden in diesem Typ mit eigenen Persönlichkeitsanteilen identifiziert, die sich konflikthaft gegenüber stehen. Die eigene Identität wird als widersprüchlich erlebt.
Jugendliche, dieses Typs, sind verunsichert und suchen nach Orientierung. Innere Irritation und ein negatives Selbstempfinden sind wichtige Aspekte ihres Selbstbildes. Sie sehen sich unter großen Belastungen, denen sie sich nicht gewachsen fühlen.

Diese Jugendlichen sind häufig in Familien aufgewachsen, die sich in der Mitte der Gesellschaft verorten würden. Die Eltern haben interessante Berufe und konnten ihnen auch schon zu DDR Zeiten materiell gut versorgen. Demgegenüber scheint die emotionale Bindung zu den Elter kaum verständlich und fragil zu sein. Sie fallen irgendwann als problematisch auf und ihnen wird nahe gelegt dieses Merkmal im Gegensatz zur restlichen Familie als individuelles Merkmal anzunehmen. Sie sind somit aus der die Normalität repräsentierenden Familie herausgefallen.

Diese Jugendlichen sind hin- und hergerissen: zum einen suchen sie die Nähe zur Normalität und zum anderen wissen sie, dass das Leben auf der Straße eher zu ihnen passt. Im Gegensatz zum Äußeren Konflikt wird dies Leben im Abseits nicht positiv erlebt, sondern als Ausdruck der eigenen Schwäche.
Aufgrund der starken Individualisierung haben sie sich in der Szene meist eine 'bad reputation' zugelegt. Sie sind keine Mitläufer, sondern als Individuen bekannt.

Gewalt hat hier meist einen starken expressiven Charakter. Im Gegensatz zum Äußeren Konflikt erleben sie die Widersprüche nicht außerhalb ihrer Person, sondern als Teil der Identität. Sie leiden unter großen inneren Spannungen, die sie u.a. mit Gewalt bearbeiten. Typisch ist hier also nicht die politisch begründete Tat, als vielmehr die Schlägerei unter Alkoholeinfluss.

Jugendliche, die ihre Situation primär entsprechend dem Inneren Konflikt interpretieren sind sicher Einflussnahmen von Außen am besten zugänglich. Sie suchen die Anerkennung durch die Normalität und begreifen Sanktionen durchaus als berechtigten Einwand gegen die eigene Lebensführung. Zu bedenken ist aber, dass sie diese Anerkennung in der Szene schon längst haben. Egal wie sie sich anstrengen würden, in der Normalität ständen sie in der Beliebtheitsskala ganz unten. Dies verbunden mit der Selbsteinschatzung leicht verführbar zu sein macht einen Rückfall trotz aller guter Vorsätze wahrscheinlich.

Stefan

Stefan kann seinen Eltern nur vorwerfen, dass sie ihn zu wenig sanktioniert und materiell zu stark verwöhnt hätten. Er versteht nicht, warum er so anders ist wie sie und stellt die Vermutung in den Raum evtl. nicht das leibliche Kind zu sein.
Er hat sich inzwischen einen Ruf als Schläger erarbeitet. Dies Image führt ihn aber auch zu kaum lösbaren Widersprüchen: „Wie kommst du weiter? Wie hast du deine Ruhe? Das ist ein Teufelskreislauf. Um Ruhe zu haben, musst du Unruhe schaffen. Ist Unruhe da, haste aber nicht deine Ruhe. Verstehen Sie?“
Er geht in Discos und schickt seine Freundin los, einen anderen Gast anzumachen. Davon fühlt er sich provoziert, schlägt seine Freundin und verprügelt anschließend sehr heftig den anderen Gast.

Harry ist auch ein gutes Beispiel für die Interpretation als Inneren Konflikt. Einen ausführliche Beschreibung kann unter 'Harry - eine Biographie' nachgelesen werden.

Ausblendende Distanz

Im dritten Typ treffen zwei Welten aufeinander, die jeweils Anspruch auf Normalität erheben. Dieser Konflikt wird aber nicht ausgetragen. Vielmehr zieht sich der Jugendliche in seine von den Anderen ausgegrenzte Welt zurück. Die Welt der gesellschaftlichen Normalität wird weitgehend ausgeblendet. Sie erscheint als fremdes Teil der Gesellschaft, die wenig mit der eigenen Person zu tun hat. Die eigene Welt bleibt eindeutig und in sich stimmig.

Diese Jugendlichen sind in marginalisierten Familien aufgewachsen. Ganz im Sinne einer primären Sozialisation wird diese Familie aber in keiner Weise in Frage gestellt.
Wenn sie auf fremde oder gar widersprüchliche Welten treffen können sie sich nur von ihnen abwenden. Nicht wie im Äußeren Konflikt die Auseinandersetzung mit der Normalität, sondern die Vermeidung des Kontaktes mit ihr steht hier im Vordergrund. Dies ist auch nicht im engeren Sinne ein Rückzug (vgl. Merton) oder eine Resignation. Die Personen kapitulieren nicht vor den Ansprüchen der Normalität, sondern versuchen einfach die unumschränkte Eindeutigkeit ihrer Herkunftswelt aufrecht zu erhalten. Im Gegensatz zu den Konflikttypen und ganz entsprechend einer traditionalen Gesellschaft wird jegliche Irritation vermieden.

Die Gewalt ist hier primär ein männliches Mittel der Bedürfnisbefriedigung. Nicht die von starken Spannungen getriebene Schlägerei, sondern der instrumentelle Raub steht hier im Vordergrund. Die Jugendlichen haben gelernt, dass der Raub eine Möglichkeit ist, an Geld zu kommen.

Sanktionen stellen das gewalttätige Verhalten nicht in Frage. Sie zeigen aber an, dass sich die Person zu weit aus der eigenen Welt herausbewegt hat. Sie sind in den Kontakt mit dem Einflussbereich der Normalität gelangt. Ihr Vergehen besteht nicht in der Gewalt, sondern in der Missachtung der Grenze der eigenen Welt.
Diese Jugendlichen sind nur sehr schwer von Außen zugänglich. Ein zentrales Merkmal ihrer Welt sagt ja gerade, dass das Außen für die eigene Orientierung irrelevant ist.

Jack

Jack lebte nach der Scheidung der Eltern mit seiner Schwester, dem Vater und dessen Mutter zusammen. Sein Vater ist sein umfassendes männliches Modell. Er ist der respektable Lehrer, der ihm auch durch häufige körperliche Misshandlungen die Möglichkeit männlichen Verhaltens aufzeigt. Jack leidet unter den Schlägen, geht aber davon aus, dass sie ihm in seinen Leben als harte Schulung nur nutzen.
Der Vater nimmt ihn aber auch mit in die Kneipe und zu seinen Freunden in den Park. Das männliche Leben ist körper- und erlebnisorietiert.
Demgegenüber steht die Oma, die durch Putzjobs Geld in die Familie bringt, das Leben von Jack strukturiert und die Wohnung in Ordnung hält. Darüber hinaus ist sie die wesentliche emotionale Kontaktperson für Jack.

Als Jack 14 Jahre alt ist zieht die Oma aus. Die Schwester kann ihren Part nicht übernehmen und so kommt die Familie aus dem Gleichgewicht.
Jack verlagert in der Folge sein Lebensschwerpunkt mit Kumpels zusammen auf die Straße. Dies ist keine Trennung oder gar Opponierung gegen den Vater. Die peergroup beinhaltet keinen Gegenentwurf zur Welt des Vaters, sondern ergänzt sie nur durch das Leben auf der Straße mit Gleichaltrigen.
Als er wegen mehrfachen Raubs inhaftiert wird kommt es zum kurzzeitigen Bruch mit dem Vater. Dieser wirft ihm nicht vor, dass er gewalttätig geworden ist, sondern dass er dies im öffentlichen Raum (Bahnhof) getan hat.

Akzeptierende Distanz

Auch in dem Typ Akzeptierende Distanz spielt die Separation eine große Rolle. Die Grenze zur Normalität hat dabei den Charakter eines unüberwindlichen Grabens. Die Trennung wird als schicksalhaft gesehen und hingenommen. Im Gegensatz zur Ausblendenden Distanz wird es hier als durchaus sinnvoll erachtet, den Graben und somit auch die Gegenseite zu verstehen. Es gibt keine Flucht vor dieser Grenze, aber im Gegensatz zu den Konflikttypen wird auch nicht versucht sie anzugehen. Der Graben ist eine Demarkationslinie, die gesehen, aber nicht bearbeitet wird. In Bezug auf diese Grenze gibt es keine ausgesprochene Bewegungsrichtung. Auf dem Gebiet innerhalb der Grenze ist jede Bewegung möglich und eventuell sinnvoll. Es geht darum, in dem statisch begrenzten Raum seinen eigenen Weg zu finden und diesen zu gestalten.

Diese Jugendlichen kommen ebenfalls häufig aus marginalisierten Familien. Sie beginnen aber meist schon früh eine Karriere durch verschiedene Heime. Zum einen erleben sie diesen institutionellen Bereich als Schutzraum z.B. vor der Gewalt des Vaters, zum anderen leiden sie unter der Trennung von der Familie. Sie erleben ihre Welt schon sehr früh als brüchig und widersprüchlich. Es gibt kein eindeutiges Orientierungsmodell einer primären Sozialisation. Neben der Welt der Herkunftsfamilie und der des Heimes kommt häufig noch die Welt des Lebens auf der Straße hinzu. Sie lernen früh sich in verschiedenen Welten zu orientieren.

Spätestens in der Schule wird klar, dass alle Welten in die sie integriert sind, Welten des Abseits sind. Dies gilt für die marginalisierte Familie, das Leben auf der Straße aber auch für die Heime.
Dieses Merkmal, im gesellschaftlichen Abseits zu stehen, wird bei aller Widersprüchlichkeit der eigenen Welten zu einem schicksalhaft hingenommenen Fixpunkt der Orientierung.

Aufgrund der Brüchigkeit ihrer äußeren Bedingungen sind diese Kinder und Jugendlichen weitgehend auf sich selbst zurückgeworfen. Alle von außen angebotenen Modelle werden Ihrer widersprüchlichen Situation im Abseits nicht gerecht. Dies führt zu einer starken Individualisierung. Sie investieren sehr viel Energie in die Orientierung und werden zu ausgesprochenen Experten des Lebens im Abseits.

Sie sehen sich von den Ressourcen, den Möglichkeiten, aber auch von den Regeln der Normalität ausgeschlossen. Sie suchen ständig nach den Ressourcen im ausgegrenzten Bereich und entwickeln Regeln, die der eigenen Situation angemessen erscheinen. Hier liegt häufig ein ausgeprägtes individualisiertes Nutzen Kalkül vor. Das was sich für die eigene Situation als nützlich erweist ist angemessen. In diesem Sinne ist dieser Typ gut an eine postmoderne Gesellschaft, in der übergeordnete Orientierungen an Bedeutung verlieren, angepasst.

Gewalt hat hier oft einen starken instrumentellen Charakter. Sie muss vor der Normalität nicht legitimiert werden, sondern sich als effektiv erweisen.

Sanktionen werden als Rahmenbedingung angesehen, die die eigene Position im Abseits unterstreichen. Aufgrund der institutionellen Karriere kennen sie den Doppelcharakter von Schutz und Sanktion genau. Dass der Sanktionscharakter der Institutionen im Laufe der Zeit immer stärker wurde ist nicht angenehm, stellt die grundsätzlichen Koordinaten aber auch nicht in Frage.
Wichtiger ist die Frage, inwieweit sich die Institutionen und die Angestellten für die eigenen Interessen nutzbar machen lassen. Dies bestimmt auch die Zugangsmöglichkeiten zu diesen Personen. Sie sind nur gegeben, wenn es gelingt, dass sie für die Person als positiv erscheinen.

Achim

Achim ist mit einem ihn ausgiebig misshandelnden Vater aufgewachsen. Neben dem Vater tritt die behinderte Mutter in den Hintergrund.

Ab dem sechsten Lebensjahr wohnt er die Woche über im Heim, am Wochenende häufig Zuhause. Ist Achim in der Familie erleidet er ohnmächtig die Übermacht des brutalen Vaters. Im Heim lernt er eine Struktur kennen, in der er sich einrichten kann. Auch mit einigen Angestellten kann er offen über seine empfundene Notlage sprechen. Kern dieser Notlage liegt in dem empfundenen Auftrag, die Mutter von dem Vater zu befreien. Achim schmiedet ständig Pläne, diesen Auftrag zu erfüllen. Er sucht Unterstützung bei seinen Kumpels und bei der Polizei, aber alle scheitern an der Übermacht des Vaters.

Er ist auf sich selbst zurückgeworfen und hält auch die Nutzung einer Pistole für gerechtfertigt.
Die Inhaftierung stört ihn, er wäre lieber in einer (helfenden) Psychiatrie. Aber auch der Knast bietet Ressourcen, die er eifrig erkundet, um sie sich nutzbar zu machen. So lernt er den Arzt kennen, mit dessen Hilfe er Sonderkonditionen aushandeln will. Er kommt aber auch mit seinen Anwalt sehr gut zurecht. Er lernt von ihm viel über das Rechtssystem und den Regeln im Knast. Vor allem erhofft er sich aber von ihm Unterstützung im Kampf gegen den Vater.

Seine Pflegemutter macht ihm demgegenüber Schwierigkeiten. Sie will ihn so schnell wie möglich aus dem Gefängnis herausholen und in die Arbeitswelt integrieren. Dies sind beides Schritte, die ihn Achims Koordinaten ohne Bedeutung sind.

   
Ausgegrenzte Bewegung
   
Auf die Grenze bezogene Bewegung

Die vier Typen stellen jeder für sich die spezifischen Formen einer Ausgrenzungsbearbeitung dar. Dieser Begriff ist genau genommen aus zwei Begriffen zusammengesetzt: zum einen die Ausgrenzung und zum anderen die Bearbeitung. Bei der Ausgrenzung geht es nicht um die eigenen Ausgrenzungen, sondern um die erfahrenen Ausgrenzungen. Dieser Begriff kennzeichnet also eher die passive Seite. Demgegenüber steht die Bearbeitung dieser Erfahrung für den aktiven Part.

Beide Begriffe sind darüber hinaus jeweils mit einer Vorsilbe zusammengesetzt: Aus–grenzung und Be–arbeitung. Die beiden Vorsilben unterstreichen den komplexen Zusammenhang der Ausgrenzungsbearbeitung. Durch das 'Aus’ wird klar, dass die Grenze nicht nur für sich steht, sondern, dass sie eng mit dem jenseitigen Bereich der Grenze zusammenhängt. Diese Silbe macht deutlich, dass die Bearbeitung in einem interaktiven Feld stattfindet: es gibt ein Gegenüber. Auch die Silbe 'Be’ unterstützt den komplexen Charakter des Zusammenhanges.

Es macht demzufolge den Schritt zum Einfacheren deutlich, wenn auf der folgenden Ebene nicht mehr von Aus-grenzungs-be-arbeitung gesprochen wird, sondern nur noch von Grenzarbeit. Dieser Begriff rückt die Grenze im engeren Sinne mehr in das Zentrum der Betrachtung und setzt sie in Beziehung zur Aktivität (Bewegung). Unter diesem Blickwinkel lassen sich die vier Typen noch einmal zusammenfassen:

Der Äußere Konflikt

Die Grenze hat in diesem Typ den Charakter einer militärischen 'Kampflinie’. Diese Front markiert zum einen das eigene Hoheitsgebiet, gleichzeitig zeigt sie aber auch an, wo die Bedrohung dieses Gebietes beginnt. Die Grenze hat dabei einen doppelten Charakter: zum einen ist völlig eindeutig, welche Qualität das Gebiet innerhalb der Grenze hat, gleichzeitig ist sie flexibel in Bezug auf die Quantität, also der Größe des Gebietes.
Diese Flexibilität macht sie erst zur brisanten Linie. Unablässig muss sich mit viel Energie um diese Grenze gekümmert werden. Nur so kann sie nach vorne geschoben werden oder zumindest gehalten werden. Ein Ablassen von der Aktivität an der Grenze würde zur Zerstörung des eigenen Gebietes führen.

Der Innere Konflikt

Die Grenze erscheint hier eher als eine schmerzhafte Wunde, als ein Schnitt im eigenen Fleisch. Anstatt dass sie sich wieder schließt und Heilung eintritt, scheint sie immer weiter auseinander zu klaffen. Noch ist es möglich hin und herzuspringen, aber die Trennung wird immer deutlicher.
Dieses Hin- und Her über die Grenze ist die bestimmende Bewegung in diesem Typ. Die Grenze umschließt nicht ein auszuweitendes Gebiet, sondern zerreißt es. Nicht die Stabilität der Grenze, sondern die Auflösung derselben ist Ziel der heftigen Aktivitäten. Erst nach dieser Arbeit ist eine eindeutige Verortung möglich.

Die Ausblendende Distanz

Die Grenze ist hier Einsäumung eines so großen Gebietes, dass diese Einsäumung außer Acht gelassen werden kann. Obwohl die eigene Welt sehr eng ist, erscheint das Gebiet als unendlich, umfassend und unhinterfragt.
Die Bewegung in Bezug auf diese Grenze eindeutig: sie führt weg von ihr. Dies ist kein Zeichen der Schwäche, sondern sehr konstruktiv für die eigene Stabilität. Die starke Innenorientierung hängt nicht mit der Abgrenzung von einer Außenwelt zusammen, sondern mit der Aufrechterhaltung des Glaubens an die Unendlichkeit des eigenen Gebietes. Die Bewegung geht immer zum Zentrum des eigenen Gebietes, da ist die größte Stabilität.

Die Akzeptierende Distanz

Hier ist demgegenüber das Aussehen der Grenze sehr gut bekannt: es handelt sich um einen unüberwindbaren Graben. Es ist möglich, über den Graben hinwegzusehen, aber es gibt keine begehbare Brücke. Es gibt also keine Bewegungen über diesen Graben und der Graben selbst ist auch nicht beweglich. Die Grenze ist eine statische Gegebenheit. Der Graben ist die Demarkationslinie, die das eigene Gebiet definiert und somit die Verortung eindeutig macht.
In Bezug auf die Grenze gibt es keine ausgesprochene Bewegungsrichtung. Auf dem Gebiet innerhalb der Grenze ist jede Bewegung möglich und eventuell sinnvoll. Es geht darum, in dem statisch begrenzten Raum seinen eigenen Weg zu finden und diesen zu gestalten.

 
Aggressive und Defensive Grenzarbeit
Auch wenn die Motive, die Richtungen der Bewegung und die Bedeutung der Grenze sehr unterschiedlich sind, so sind doch beide Konflikttypen von einem aggressiven Umgang mit der Grenze geprägt. Beide lassen die Grenze nicht in ihrem Sosein bestehen, sondern versuchen sie mit einem hohen Energieaufwand zu bearbeiten und zu verändern.  
Sowohl der Typ des Äußeren Konfliktes als auch der des Inneren Konfliktes können auf die Aggressive Grenzarbeit zurückgeführt werden. Anders ausgedrückt: die grundsätzliche vereinnahmende Bewegung auf die Grenze zu, wird von den Typen Äußerer und Innerer Konflikt auf die je spezifische Weise variiert. Auf der Variationsebene stehen diese beiden Typen als Einfache Variationen nebeneinander, in Bezug auf die ihnen zugrunde liegende Funktion Aggressive Grenzarbeit sind sie identisch.
Die Typen Ausblendende- und Akzeptierende Distanz können demgegenüber nicht auf die Funktion der Aggressiven Grenzarbeit zurückgeführt werden. Sie zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie die Grenze unangetastet lassen. In der Ausblendenden Distanz wird der Grenze sofort der Rücken zugekehrt und in der Akzeptierenden Distanz verläuft die Bewegung allenfalls parallel zur Grenze.
Im Gegensatz zu den Konflikttypen können diese Typen demzufolge auf eine 'Defensive Grenzarbeit’ zurückgeführt werden. Diese Form des Umgangs mit der Grenze zeichnet sich durch die Hinnahme der Grenze aus. Während sie in der Aggressiven Grenzarbeit angegangen wird, wird sie hier hingenommen. Diesen defensiven Umgang variiert die Ausblendende Distanz durch den Rückzug von der Grenze und die Akzeptierende Distanz durch die schicksalhafte Duldung.

Neben der Ebene der Typen (Ausgrenzungsbearbeitung) gibt es jetzt noch die Ebene der Grenzarbeit, die diesen Typen zugrunde liegt. Hier stehen sich Aggressive- und Defensive Grenzarbeit gegenüber. Auf dieser Ebene geht es nicht mehr um die Bedeutung von Gewalt, um die Beziehung zu den Eltern, um den Lebenslauf oder Ähnliches. Hier geht es um das Merkmal der Bewegung in Bezug auf die Grenze und um die Bedeutung der Grenze für die Bewegung.
Diese beiden Aspekte werden in ihren grundsätzlichen Richtungen gegenübergestellt. Auch wenn die Metaphern aus anderen Bereichen gewählt wurden, so geht es doch weiterhin um eine soziale Grenzarbeit. Es geht um sozial definierte Grenzen und um Handlungen in Bezug auf diese Grenzen. Beide Formen der Grenzarbeit können tabellarisch folgendermaßen gegenübergestellt werden:

 
Aggressive Grenzarbeit
Defensive Grenzarbeit
Grenzeigenschaft Die Grenze ist veränderbar, variabel Die Grenze ist gegeben, statisch
Bewegung
  • Heftig, spannungsreich
  • Auf die Grenze zu, vereinnahmend
  • Eher gelassen bis starr
  • Die Grenze unberührt lassend
Richtung Expandierend, die Peripherie bearbeitend Kontrahierend, das eigene Zentrum bearbeitend
Variierende Typen Äußerer Konflikt, Innerer Konflikt Ausblendende Distanz, Akzeptierende Distanz

 

 
Die Ausgegrenzte Bewegung

Ob flexibel oder statisch, sowohl bei der Aggressiven-, als auch bei der Defensiven Grenzarbeit wird die Grenze als von Außen gegeben angenommen. Die Bewegung in Bezug auf die Grenze ist bei beiden eine Bewegung in Bezug auf eine gegebene Grenze. Die Grenze ist ein von Außen bestimmtes wesentliches strukturierendes Merkmal für die Bewegung. Ohne dieses Merkmal gäbe es keine Bewegung in Bezug auf diese Grenze.

Das klingt tautologisch, ist aber die zentrale Identität der beiden Formen der Grenzarbeit: es sind Bewegungen in einem als ausgegrenzt geltenden Raum. Dieser Raum ist gegeben und die Bewegungen sind nur innerhalb dieses Raumes sinnvoll. Dies lenkt den Schwerpunkt der Betrachtung auf die Bewegung: es ist eine Bewegung, die durch das Strukturmerkmal Ausgrenzung bestimmt wird. Es ist die Ausgegrenzte Bewegung, die sowohl der Aggressiven-, als auch der Defensiven Grenzarbeit als gemeinsame Funktion zugrunde liegt.

In dieser Funktion gibt es einen aktiven (Handlung) und passiven (Grenze) Part, aber auch eine Innen (ausgegrenzter Raum) – Außen (Grenze) Orientierung. Beides zusammen markiert die wesentlichen Koordinaten dieser Funktion.